Sonntag, Dezember 10, 2006

TEMPO - eine Annäherung

Ich muss schon zugeben, es hat mich zurück geworfen - um Jahre. So etwa in das Jahr 1988 als ich mit meinem damals besten Kumpel eine eigene Schülerzeitschrift (nicht Schülerzeitung!) auflegen wollte. So richtig elitär, und mit Wörtern, die noch keiner gehört hat, und die nicht im Konversationslexikon nur schwer zu finden sind, und noch schwerer zu verstehen sind. Und das haben wir damals alles auf uns genommen, ohne Blogs, ohne Wikipedia und auch ohne Sinn und Verstand. Das Cover war schön: eine russische Marienikone in schreiendem Gold um dem, in unseren Augen, verlogenen Katholizismus gleich schon auf der Titelseite beizukommen. Mit Schreibmaschine und Unmengen an Prittstiften erzeugten wir eine Nullnummer im elterlichen Wohnzimmer, die es zum Glück nie zum Drucker geschafft hat. Uns fehlte ein Hr. Ganske mit seinen Millionen ... Aber unsere Helden schrieben uns ja alles von und auch aus der Seele: Spex, Tempo, Wiener, Kowalski, Esquire und wie sie alle hiessen. Und alle hat es sie erwischt - irgendwie schon damals eine Vorwegnahme der Ereignisse aus der Dot-Com-Blase.

Und nun ist sie wieder da: TEMPO - das vermeindliche Flaggschiff - und man bekommt für seine 4,50 EUR, was ich mir von Max, GQ und Konsorten schon nicht mehr zu wünschen gehofft hatte. Ein erstes Durchblättern offenbart es: sogar die werbetreibende Industrie hat sich grösstenteils Mühe gemacht und eigenständige Werbung entworfen. Sei es durch einen ausgetauschten Claim (gelungen beim Alfa Spider: "Ein Tempomacher gratuliert den TEMPO-Machern." weniger wie bei Honda: "Die schnellste Seite der Tempo" - nur kurz nach dem BMW Ad für das neue 3er Coupé und dann TEMPO auch noch kleingeschrieben!), Skoda spielt mit dem TEMPO-Männchen - am Schönsten aber die Tempowerbung von Beyersdorf - zum Nachbestellen aller Ausgaben der letzten 10 Jahren. Aber was macht denn bitte die Quellewerbung hier in diesem Heft? Ich kauf' mir ja gleich noch einen Bausparvertrag!

Eines zu Hrn. Peichl: in seinem Editorial hatte er wirklich (fast) Recht mit der 34. Wahrheit: Editorials sind IMMER unnötig. Hatte er "damals" nicht nötig, oder? Schön dann zu sehen, wer alles mitgearbeitet hat und was für dolle Sachen die Jungs und Mädels doch heute alle machen - noch schöner (und anarchischer) wäre aber gewesen, wer alles nicht mitgemacht hat, man aber gerne dabei gehabt hätte, so à la Fest: Ich nicht! Schön auch die drei Doppelseiten Mercedes Coupés und wie sich der Bogen auch farblich spannt. UND: mit 80er Look und Sprache kommt man auch heute noch stylish daher, so wird sich auch die Jubelnummer innerhalb kürzester Zeit verkauft haben - nur bitte: lasst es dabei!Keine neu-neu-neu-Wiederbelebung wie beim Penthouse.

Schön auch wieder die Bildersprache, die letzten 10 Jahre in 10 Minuten zusammenzufassen: 6,2 Mio. Blatt Papier stapeln und regnen sich vor dem Reichstagsgebäude, 5,2 Mio. Liter Blut füllen zwei Schwimmbäder, 487 Spiegeleier verkleben Mutter Beimers Küche, 138.700 Reyno Menthol Zigarettenkippen von Ex-Kanzler Schmidt sammeln sich neben 320 Mio. Harry Potter Büchern usw. usf. Angela Merkel benötigte immerhin drei Frisuren in den 10 Jahren - Günter Netzer reicht seit den 70ern nur eine! Und am Ende bringt es doch Mooshammers (selig) Nervtöle Daisy in Kohlscher Manier am Besten auf den Punkt: 1,4 Tonnen Kot: wichtig ist was Hinten raus kommt!

Dann die Generalabrechnung: mit allen! Von a-ha (gleich doppelt falsch geschrieben) bis Yello. TEMPO-typisch auf den Punkt gebracht und visuell durch ein rotes Plus oder schwarzes Minus verschönert. Herrlich, dass man den Beastie Boys wünscht, sie sollten bald mal die Kappen abnehmen, und dann auch noch das passende Bild ohne Kopfschmuck dazu hat. Über all die Kommentare kann man wunderbar schmunzeln und sich den Kopf dick diskutieren. Mal treffend, mal ernüchternd, mal auch einen Schritt zu weit - aber nie langweilig. Gekonnt. Aber selber möchte man dies natürlich alles ganz anders und viel besser machen (wollen).

Dann die Wahrheiten: zuerstmal Promis vorführen mit einem angedienten Doktortitel der frei erfundenen Nationalakademie. Die Idee Passagen aus "Mein Kampf" und der NPD-Leitlinien wörtlich zu übernehmen und die Promis sich diesen Zielen und Grundsätzen einverstanden zu erklären entbehrt nicht einer gewissen Komik - und die meisten Promis machen auch noch dankbar und eilfertig mit. Nur: “Frei flottierender Nationalismus” - mhm, meinte der werte Autor etwa frei frottierender Nationalismus - back to natur im Wahrsten Sinne des Wortes ...

Kommentare über Kate Moss spare ich mir. Genauso über Lukas P. (ist das eigentlich der kleine Bruder von Oli P.?). Beide sollen das machen was sie am Besten können: kleiderständern und toren! Danach ein bisschen Betroffenheitsjournalismus über Slums in Portugal, Italien und der Slowakei - zum Glück gibt es das bei uns (noch) nicht - aber allzu weit davon entfernt sind wir auch nicht mehr ... Da lässt es sich doch gut, dass Wowe das alles kalt lässt - Hauptsache wiedergewählt, wa? Stuckrad-Barre bringt es auf den Punkt und ich kann mir das eine oder andere Schmunzeln nicht verkneifen. Danach Linker gegen Heuschrecke - Frauentausch für die TEMPO-Zielgruppe. Nur was haben beide daraus gelernt? Am Ende stehen mir im Streitgespräch zu viele Platitüden ...

Dann: Internet und Sex: Zitat:"man wird ziemlich fascho, wenn man sich zu lange in zu vielen Online-Communitys rumtreibt" - dem ist nichts hinzuzufügen! Dann schon eher die nächste Werbeseite: Holz ist sexy - Beton, Glas und Stahl kann man mögen - aber Holz liebt man. Zum Glück gibt es www.infoholz.de und eine Infoline. Sachen gibt's ... und wer ruft dort an?

Dann mal eben Hr. Glaser - kurz vor Zwanzig fand ich seine Texte noch - wie? tja zumindest fand ich sie - heute erinnert er mich an Maxim Biller im Cicero. Wenigstens kann man sich dann erstmal an Blumen bedanken. In Schwarzweiß, in Bunt und manchmal auch in farbig - wer's mag. Wenigstens die Hoffnung ist grün- und grün hinterlegt ist auch der Text zur Wahrheit No. 11: Solange wir schreiben, ist Hoffnung. Dann kommen die Drogen ...

*** demnächst mehr ***

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